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ADHS in der Familie – Ruth Huggenberger – Hogrefe – Rezension

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Psychotherapeutin Ruth Huggenberger schildert in ihrem Buch “ADHS in der Familie” anhand zahlreicher Fallbeispiele anschaulich die vielfältigen Probleme, die mit einer ADHS einhergehen können.  Sie beschreibt ausführliche die Symptomatik bei Kindern und Erwachsenen, geht auf die Diagnostik und möglichen Ursachen ein. Die zweite Hälfte des Buches ist dem Umgang mit der ADHS gewidmet, aufgegliedert in verschiedene Altersgruppen und noch einmal speziell für die Familiensituation, wenn mehrere Personen betroffen sind.

Das Buch richtet sich vor allem an Eltern von ADHS betroffenen Kindern. Da die Ursachenforschung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine genetische Komponente annimmt, ist es wahrscheinlich, dass in Familien mehr als eine Person von einer ADHS betroffen ist, was es besonders sinnvoll erscheinen lässt die familiäre Situation in Blick zu nehmen. Außerdem stellen die Symptome oft eine Belastung für die ganze Familie dar.

Viele Betroffene werden zum einen erfahren, dass es in anderen Familien ähnliche Probleme gibt und sehen, welche Möglichkeiten es gibt, die Problematik besser in den Griff zu bekommen, um entspannter mit der Situation umzugehen.

Ist das Buch für Angehörige oder auch für Psychologen und andere Fachleute geeignet?

Zum einen halte ich es für ratsam Literatur zu kennen, die man seinen Klienten empfehlen kann. Das Buch gibt einen ausführlichen Überblick über die Symptome und verschiedenen Erscheinungsformen der ADHS, sowie die Diagnostik und Behandlung. Die Fallbeispiele geben einen guten Einblick in die Arbeitsweise von Ruth Huggenberger. Darüber hinaus gibt sie zahlreiche Informationen, die Anregungen für die eigene Arbeit sein können.

Ruth Huggenberger sensibilisiert auch für die Ängste der Klienten, sich Hilfe zu suchen.

(Zitat Seite 15) “Was wenn ich ADHS habe? Gibt es eine Verbesserung in meinem Leben oder bin ich dann krank und werde abgestempelt?”

Es steckt ein gesellschaftliches Problem dahinter, dass viele davor zurück schrecken lässt sich klargeht und Hilfe zu suchen.

Diagnostik

Es wird nicht nur dargestellt wie breit aufgestellt die Diagnostik einer ADHS sein muss, es werden im Anhang auch ganz konkret die Testverfahren benannt, die Ruth Huggenberger in ihrer Praxis einsetzt. Das kann für Praktiker hilfreich sein. Kritisch stehe ich persönlich dem Einsatz projektiver Verfahren wie “Familie in Tieren” gegenüber.

Mich freut, dass Ruth Huggenberger das Kapitel der Diagnostik nicht defizitär angeht, sondern die Stärken von Menschen mit ADHS hervorhebt. In Anbetracht der Tatsache, dass dieses Buch sich an Betroffene und ihre Angehörigen richtet, ist dies besonders wertvoll. Diese Haltung wird auch in den anderen Kapiteln sichtbar.

Du bist wertvoll ist eine so wichtige Aussage, die wir viel zu selten hören dürfen. Dagegen, du bist anders, oder du kannst das nicht, um so öfter.

Forderung von klaren Regeln

Eine wiederkehrende Empfehlung von Ruth Huggenberger ist das Aufstellen von klaren Familienregeln. Eine klare Struktur gibt den Betroffenen eine bessere Orientierung, dem stimme ich zu. Allerdings sind mir stellenweise ihre Forderungen zu streng. So sollen beispielsweise die Verwendung von Kraftwörtern bestraft werden (Seite 66). Ich denke, dass es im Umgang mit Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten ratsam ist, die eigenen Erwartungen zu hinterfragen. Was ist wirklich wichtig, dass im Umgang mit anderen gelernt werden muss, um am Sozialleben teilhaben zu können? Was ist der Preis für die Betroffenen, wenn wir erwarten, dass sie “normal funktionieren”? Darf das das Ziel von Therapie und Erziehung sein?

Wer steht im Fokus der Behandlung, das Kind oder die betroffene Familie? Um wessen Leidensdruck geht es? Im Idealfall werden sowohl die betroffene Person, als auch die Familien in den Blick genommen, wenn es um die Zielsetzung geht. Mir scheint aber, dass dies auch die Absicht der Autorin ist.

Die Konsequenzen von zu viel Druck wird ebenfalls im Buch deutlich, z.b. am Fallbeispiel von Herrn V. (Seite 76), der sich zu einem Perfektionisten entwickelte, nachdem er verstanden hatte, dass Ordnung in seinem Leben wichtig sei.

Von einer streng autoritären Erziehung distanziert sich die Autorin allerdings (Seite 208), auch wenn ich mir das in dieser Deutlichkeit früher gewünscht hätte. Der Fokus von Erziehung muss nach Ruth Huggenberger auf dem Wohlergehen des Kindes und seiner freien Persönlichkeitsentfaltung liegen.

Fazit

Eines wird in auf jeden Fall deutlich: ADHS kann sowohl für Betroffene als auch direkte Angehörige zu einer Belastung werden. Das Buch bietet Erklärungsmodelle und konkrete Handlungsmöglichkeiten an. Wertvoll ist für mich die Darstellung, wie vielfältig eine ADHS aussehen kann und die Aufklärungsarbeit über ADHS im Erwachsenenalter.

Der Wert des Buches für Betroffene und ihre Familien liegt darin zu sehen, dass ADHS mehr ist als eine Mode-Diagnose oder das Zappelphilipp-Syndrom. Es ist ein ernst zu nehmendes Problem mit dem man aber umgehen kann. Hierzu gibt es viele konkrete Fallbeispiele und es wird deutlich, dass eine Diagnose entlastend wirken kann. Sie ermöglicht zu verstehen und zu handeln.

Für Praktiker sind die Fallbeispiele wertvoll, die veranschaulichen mir welch vielfältigen Themen Klienten zu uns kommen, hinter denen eine ADHS-Problematik stecken kann. Es werden zu den Fallbeispielen Ansätze angeboten in welche Richtung eine Therapie hilfreich sein könnte.