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Personzentrierte Beratung und Therapie bei Verlust und Trauer – Ulrike Backhaus – Reinhardt Verlag – Rezension

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Für Ulrike Backhaus steht Empathie in der Arbeit mit Trauernden an erster Stelle. Um diese zu erlangen ist oftmals eine Kenntnis der zugrundeliegenden Prozesse und Trauer auslösender und verstärkender Momente notwendig. Diese Kenntnisse zu vermitteln ist der Ausgangspunkt für ihr Buch „Personzentrierte Beratung und Therapie bei Verlust und Trauer“.

Nach einer kurzen Einführung in den Aufbau des Buches und die Zielgruppen (Kapitel 1) beginnt Backhaus mit einer Übersicht über die Grundlagen des personzentrierten Ansatzes für alle, die damit nicht vertraut sind (Kapitel 2 und 3). Dann bezieht sie den Ansatz konkret auf die Arbeit mit Trauernden. Dabei werden Themenbereiche wie die Geschichte der Hospizbewegung, verschiedene Modelle der Trauerarbeit oder Trauerphasen und Diagnosen in der Trauerarbeit abgedeckt.

In ihrer Einführung in die fachliche Perspektive auf Trauer und Trauerarbeit (Kapitel 4) stellt Backhaus verschiedene Modelle des Trauerprozesses vor. Eine Kenntnis der Modelle, so die Vermutung, könnte Beratende dabei unterstützen, auch möglicherweise befremdliche Trauerreaktionen zu akzeptieren und ein tieferes Verständnis des Trauernden zu erlangen. Besonders widmet sich die Autorin den vier Traueraufgaben von William Worden, die sie im späteren Praxisteil immer wieder aufruft. Der Begriff der Traueraufgaben verweist hier schon auf die entwicklungspsychologische Perspektive des Modells, innerhalb dessen Trauer nicht als passiv zu durchlaufende Phasen, sondern als aktiv zu gestaltender Prozess betrachtet und dargestellt wird. (S. 45).

Ein wichtiger Hinweis der Autorin in diesem Teil ist, dass im Verlustfall für den Hinterbliebenen zunächst das Überleben an erster Stelle steht. Wichtig für die Arbeit mit Trauernden ist dieser Hinweis deshalb, weil es allzu oft dazu kommt, dass auch das professionelle Umfeld meint, der Trauernde solle sich dem Verlust „stellen“, sich nicht „verstecken“ oder gar „verdrängen“. Für die Betroffenen mag es aber im ersten Schritt schlicht um materielles und psychisches Überleben gehen. Dabei kann es sein, dass zunächst andere Themen im Vordergrund stehen als die gelebte Trauer um den Verstorbenen oder Gegangenen. (S. 47)

Im 5. Kapitel bietet die Autorin einen existenzphilosophischen Exkurs an. Dieser ist allerdings in dieser Kürze (das Kapitel umfasst insgesamt 9 Seiten) nicht aussagekräftig und außerdem sehr ungenau. Beispielsweise schreibt Backhaus hier: „Für Paul Tillich bedeutet Gesundheit Ganzwerden und mit sich selbst im Einklang zu sein“, wobei unklar bleibt, was „Ganzwerden und mit sich selbst im Einklang“ sein bedeuten. Das Wichtigste aus diesem Abschnitt ist folgende Analyse: „Diesen […] Sichtweisen ist gemeinsam, dass sie Gesundheit oder Heilung nicht als Abwesenheit von körperlicher Beeinträchtigung oder Leid sehen, sondern als eine Seinsweise, die mögliche Einschränkungen integriert bzw. aus ihnen erwächst“ (S. 68). Eine echte Auseinandersetzung mit dieser gleichermaßen nützlichen als auch umstrittenen Sichtweise wäre hilfreich gewesen.

Der 12 Seiten umfassende Teil über Diagnosen bei Trauer hingegen ist zwar kurz, informiert aber in ausreichendem Maße über gängige Diagnosen und die Stellung der Trauer in Diagnosekatalogen wie der ICD-10 (obwohl diese mittlerweile natürlich überholt sind).

Im darauffolgenden Praxisteil in Kapitel 7 wird beispielhaft die personenzentrierte Arbeit mit Trauernden vorgestellt. Hier geht Backhaus auf konkrete Fälle ein, darunter die Begleitung von Menschen bei erschwerter Trauer, die Begleitung bei Trauer um ein Kind oder nach Suizid und der Umgang mit Schuldgedanken, die in vielen Trauerprozessen prävalent sind. Dieser Teil basiert auf Fallbeispielen und ist dadurch äußerst praxisnah.

Der letzte Teil widmet sich der Frage nach dem Selbstschutz bei der Arbeit mit Trauernden und von Verlust Betroffenen. Hier geht es um die Bedeutung von Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Befinden, um die Auseinandersetzung mit eigenen akuten oder vergangenen Trauerprozessen und um mögliche Ressourcen für ehrenamtliche oder professionelle Trauerbegleiter*innen.

Das Buch, darin besonders der ausführliche Praxisteil, kann als Quelle für Ideen zum Umgang mit Trauernden genutzt werden. Tatsächlich rät die Autorin den Lesenden, eben die Teile des Buches zu lesen, die für ihn oder sie relevant sind. So ist der erste Teil beispielsweise für all jene vernachlässigbar, die schon mit Carl Rogers‘ personenzentriertem Ansatz und dem zugrundeliegenden Menschenbild in Berührung gekommen sind. Trotzdem stellt sich die Frage, inwieweit ausführliche biographische Informationen zu Carl Rogers und der Geschichte der Hospizbewegung in einem Buch über Beratung und Therapie bei Verlust und Trauer Platz haben sollten. Interessant? Ja. Relevant? Nein.

Für einen anderen Teil hätte man sich im Gegenzug mehr Raum gewünscht. Der Begleitung von Menschen bei Verlust ohne Todesfall werden keine 3 Seiten gewidmet (S. 158f). Dabei sind doch Verluste wie der Auszug eines erwachsenen Kindes, Verlust bei Jobwechsel und Umzug, das Ende der sexuellen Ebene einer Beziehung, die Trauer darum, nicht Mutter oder Vater werden zu können und, und, und weit verbreitete Phänomene, die häufig schwerwiegende Anpassungsprobleme nach sich ziehen. Mit Verlust und Trauer meint Backhaus in erster Linie Verlust durch Tod. Das sollte auch der Buchtitel widerspiegeln, um falschen Erwartungen vorzubeugen.

Ulrike Backhaus‘ „Personzentrierte Beratung und Therapie bei Verlust und Trauer“ ist als Einführung in den Themenbereich nützlich und interessant. Es unterstützt die Lesenden dabei, ihre mögliche Scheu vor den Themen Tod und Verlust zu verlieren und sich für Klienten und deren individuellen Umgang mit ihrem Schmerz zu öffnen. Für alle aber, die mit dem personzentrierten Ansatz vertraut sind und schon mit Trauernden gearbeitet haben, ist Backhaus’ Buch weniger empfehlenswert.