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Musiktherapie
4.1. Wirkung auf die Physis
Der Mensch entwickelte vor 500.000 Jahren die Sprache. Entwicklungsgeschichtlich hat das Ohr sich dem Frequenzspektrum der Sprache seit dieser Zeit angepaßt. Wir hören in einem Frequenzbereich von 200 bis 3000 Herz. Das entspricht dem Hauptfrequenzbereich der menschlichen Stimme (Vgl. 1, S. 65). Durch das Ohr wird der Schall über Nervenbahnen und über das vegetative Nervenzentrum an bestimmte Hirnbereiche weitergegeben. Die für Musikhören und -spielen wichtigen Hirnteile vermutet man im Schläfenlappen der rechten Gehirnhälfte. Das deckt sich auch mit der heutigen Erkenntnis, daß die linke Gehirnhälfte die „logische” und die rechte mehr die „emotionale” ist. Das Beispiel eines Komponisten, dessen linke Gehirnhälfte durch einen Unfall stark beschädigt war, zeigt dies ganz deutlich: Der Patient zeigte starke Probleme beim logischen Denken, aber seine Fähigkeit, Musik zu machen, war unbeeinflußt (Vgl. 1 S. 71-73).
Zur Wirkung der Musik auf den menschlichen Organismus wurden schon zahlreiche Versuche ^durchgeführt. Ein Versuch mit über 100 neugeborenen Säuglingen, deren Fähigkeit gedankliche Sperren aufzubauen noch nicht ausgebildet ist und so eine direkte Verbindung zwischen Körper und Musik möglich ist, zeigt, daß Musik den Körper beeinflußt. Es wurden 102 Kinder direkt nach der Geburt 4 Tage lang mit einem Schallsignal, das dem Doppelschlag des Herzens glich (mit 72 Schlägen pro Minute) beschallt. Als Kontrollgruppe dienten 112 Neugeborene, die in einem stillen Zimmer untergebracht waren. In der Herzschlaggruppe schrieen die Babys nur 38,4 % der kontrollierten Zeit, in der Vergleichsgruppe waren es dagegen 59,8 %. Auch wurde bei der Herzschlaggruppe eine wesentlich stärkere Gewichtszunahme festgestellt (Vgl. 2, S. 9/10). Musik wirkt, wie auch Psychopharmaka, direkt auf die vegetativen Nervenzentren unseres Körpers, d. h. Rückenmark und Kleinhirn (Vgl. 3, S. 73). Wie unmittelbar Musik auf den Organismus wirkt, zeigt auch das Beispiel der Musikbeschallung eines Komapatienten, der verbal und auch über Körperkontakt nicht mehr zu erreichen ist. Wenn eine Therapeutin das Lieblingslied des 50-jährigen komatösen Patienten, der seit 3 Wochen im Koma liegt, spielt, oder besser singt, zeigen sich ganz klare körperliche Auffälligkeiten: z. B. ein Zucken der Glieder und ein Augenlidaufschlag, die sonst nicht festgestellt werden können. Die Atmung wird tiefer, die Herzfrequenz verändert sich und der psychogalvanische Widerstand (= die Feuchtigkeit der Haut) verändert sich in starkem Maß (Vgl. 1, S 33-43).
Musik besteht aus verschiedenen Komponenten: Zeit, Klang, Kraft und Form. Man unterscheidet in dieser Beziehung zwei grundsätzliche Typen von Musik, die sich in Form und in der Wirkung auf den Menschen, gegensätzlich gegenüberstehen. Ergotrofe Musik hat harte Rhythmen. Das Tempo ist schnell und beschleunigend, meist in Dur gehalten mit Dissonanzen. Ergotrofe Musik ist laut, wie z. B. Rockmusik. Tropotrofe Musik hat, wenn überhaupt einen schwebenden Rhythmus, wird langsam gespielt und ist in Moll mit vielen Konsonanzen gehalten und leise. Ein Beispiel dafür sind „Kindereinschlaflieder”.
Ergotrofe Musik führt zu Erhöhung des Blutdruckes, zur Beschleunigung des Atems und der Pulsfrequenz, Pupillenerweiterung und erhöhtem Hautwiderstand (Vgl. 3, S. 53).
Tropotrofe Musik führt zur Durchblutung des Hirns, Blutdruckabfall, zu flacherem Atem, zur Pulsverlangsamung, Entspannung der Skelettmuskulatur, Pupillenverengung und geringerem Hautwiderstand (Vgl. 3, S. 70-72).
Die Lautstärke der Musik ist ein ganz entscheidender Faktor zur Wirkung derselben auf den Körper. Bis zu 50 Dezibel ist die normale Hörlautstärke. Die Belastungsgrenze, nach der auch mit organischen Schäden zu rechnen ist, liegt bei 120 Dezibel. Ein Jumbojet startet mit 150 Dezibel. Ab 155 Dezibel beginnt die menschliche Haut zu verbrennen. Bei 185 Dezibel stirbt der Mensch. Schon früher wurde in China durch Lärm in heftigen Lautstärken gefoltert und getötet (Vgl 3, S. 64/65). Auch andersherum kann man den Einfluß des menschlichem „Lebensrhythmus” auf den Rhythmus von Musik beziehen. Das zeigt die Tatsache, daß das Idealverhältnis von 4 Herzschlägen auf 1 Atemzug sich in dem gebräuchlichsten Rhythmus, dem 4/4 Takt gleicht. Auch entspricht das musikalischen Temporichtmaß von 72^ der durchschnittlichen Pulsfrequenz des Menschen (Vgl. 5 S. 22).