Herr Dr. Mucha, Sie arbeiten in verschiedenen Berufsfeldern als Psychologe. Können Sie uns einige Ihrer Tätigkeiten erläutern?
Ein Schwerpunkt bildet Organisationsberatung, wobei ich natürlich insbesondere die Menschen in Organisationen berate, und zwar hauptsächlich in Hinblick auf Sichern ihrer Gesundheit in der Arbeitswelt. Da bin ich in Schulen engagiert im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Bildung. Ich berate aber auch eine sehr große Kindertagesstätte eines international tätigen, gemeinnützigen Bildungsträgers. Hier berate ich sämtliche Hierarchie-Ebenen: Das multikulturell und multiprofessionell zusammengesetzte pädagogische Personal, das Leitungs-Team, den Kita-Leiter und das Management.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Hochschullehre in Berlin, Nordhessen und Hamburg. Ich habe Lehraufträge bzw. begutachte von mir betreute Prüfungsarbeiten. Das Spektrum umfasst prinzipiell das gesamte Fach der Psychologie, Schwerpunkte sind allerdings auch hier Arbeits- und Organisationspsychologie, z.B. Führungspsychologie, aber auch Psychologie für Studierende der Sozialarbeit.
Psychotherapeutisch tätig bin ich (formal seit 1985) auf Grundlage des Heilpraktikergesetzes. In der Zeit arbeitete ich in einer großen Suchtklinik in Baden-Württemberg und es gab das Psychotherapeutengesetz noch gar nicht. Der Bedarf an Psychotherapie ist riesig, die Wartezeiten nach wie vor zu lang. Gesetzliche Krankenversicherungen kommen ihrer Pflicht nicht nach, vergleichbare Leistungen zu liefern wie Privatversicherungen. Auch hier herrscht Zwei-Klassen-Gesundheitssystem bzw. Selbstzahlende können sich Hilfe leisten, Arme müssen warten und drohen zu chronifizieren.
Würden Sie uns bitte ihren Werdegang in Bezug auf ihre psychologischen Ausbildungen erläutern! Wo haben Sie studiert und welche Weiterbildungen haben Sie absolviert?
Psychologie habe ich in den 1970er Jahren in West-Berlin studiert, anfänglich an der TU, dann an der FU. Dort habe ich die sehr fundierte Klinische Psychologie am Institut für Psychologie mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie absolviert (einschließlich Praxisfall) und auch den A-Status der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GwG) erlangt. Nach meiner 3-jährigen Tutorentätigkeit „Klinische Psychologie im pädagogischen Feld“ arbeitete ich fünf Jahre als Wissenschaftlicher Assistent an der FU, hatte Prüfberechtigung sowohl beim Ausschuss für psychologische Diplomprüfungen des Fachbereichs Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften als auch des Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften I, an dem ich auch im Fach Psychologie promovierte.
Die Erlaubnis zum Ausüben von Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz habe ich 1985 beurkundet bekommen. Später erlangte ich die Fachkunde Suchtpsychologie der Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie (dg sps), habe Zertifikate u.a. als Gesundheitskoordinator, Konfliktvermittler, Mentor für Alphabetisierung und Grundbildung in der Arbeitswelt.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Können Sie uns bitte einen typischen Tagesablauf schildern?
Meist beginne ich den Tag mit einer Mischung aus Sichten beruflicher Newsletter, Mails etc. und
dem Studium von Fachliteratur. Viel Zeit erfordert das Vorbereiten von Beratungen, Lehrveranstaltungen, Psychotherapie und auch Vorträgen und Veröffentlichungen. Die Begegnungen mit Klient*innen, Studierenden und Patient*innen finden meist nachmittags und auch abends (nach deren Berufstätigkeit) statt. In diesem Semester habe lehre ich fast ausschließlich abends bis nach 21 h und auch Samstags.
Was war der spannendste Augenblick in Ihrem Beruf?
Mit „spannend“ kann ich nicht so viel anfangen. Wenn man mehr als vier Jahrzehnte als Psychologe arbeitet, fällt mir mehr als ein Augenblick ein, der besonders beeindruckend war. Ein Glücksgefühl empfand ich ganz zu Anfang meiner Laufbahn, als ein junges heterosexuelles Paar aufgrund meiner Beratung seine sexuellen Probleme überwand und ich in die erleichtert strahlenden Augen blicken konnte.
Während meines Praxisfalls in der VT-Ausbildung wurde ein Pflegekind aufgrund meiner Intervention aus seiner Pflegefamilie genommen. Das war emotional auch für mich bewegend. In meiner Zeit als psychologischer Berater im Jugendamt (um 1990) hatte ich auch mit (Verdachts-) Fällen sexuellen Missbrauchs zu tun. Solche für alle Beteiligten gravierenden Vorgänge bleiben auch in meiner Erinnerung. Sehr sinnerfüllend für mich sind Begegnungen mit Studierenden, denen ich auf ihrem Weg ins (Berufs-) Leben ein paar Orientierungen anbieten kann. Schließlich beeindruckte mich auch die starke Motivation und Energie (natürlich auch aufgrund entsprechenden Leidensdrucks) eines Ehepaars, beide mehr als 75 Jahre alt, die sich von mir psychotherapeutische Hilfe holten, bis die Frau starb.
Bieten Sie selber Psychologie Ausbildungen an?
Ja, in meiner Tätigkeit in der Hochschullehre.
Was für Voraussetzungen sollte man für diesen Beruf Psychologe mitbringen?
Man sollte Menschen helfen wollen, und zwar nicht aus monetären Gründen, sondern aus philanthropischen. Man sollte engagiert sein, Lebensbedingungen präventiv so zu gestaltet, dass insbesondere Benachteiligten geholfen wird. Man sollte auch eher Generalist sein als Spezialist. Also Schmalspur-Therapeut mit nicht schmalem Praxis-Schild lieber nicht. Ich bringe mein Auto auch lieber zum Maschinenbau-Ingenieur als zum Kfz-Elektriker.
Welche Rolle wird das Thema Psychologie Ihrer Meinung nach in Zukunft in unserer Welt spielen?
Solange Elend und Ungerechtigkeiten so groß sind, hoffe ich, Psychologie wird eine immer größere Rolle spielen, weil ihr Stellenwert immer mehr erkannt wird, insbesondere auch gegenüber der medizinischen Dominanz. Andererseits hoffe ich, abwegige Psychologisierungen werden als solche an den Stell(schraub)en entlarvt, an denen es z.B. auf politische Entscheidungen (z.B. für Arm gegen Reich oder für Inklusion gegen Aussonderung oder für Geschlechtergerechtigkeit o.ä.) ankommt.
Herzlichen Dank für das Interview!
Ergänzende Links: Autoren-Profil auf Psychologie Ausbildung,