Menschen zu führen, das ist eine verantwortungsvolle Tätigkeit, insbesondere heute in einer
Zeit, in der wieder gefährlich verführende „Tramp-eltiere“ von so manchem hohen Ross zwitschern
(engl. to twitter). Führende gab es schon immer, insbesondere einen „Führer“. Der
belastet diesen Begriff.
Psychologie des Führens von Menschen wird in diesem dicken Wälzer auf hohem Niveau und
mit vielfältigen Facetten ausgebreitet. Wissenschaftler*innen, Studierende und in der praktischen
Arbeit außerhalb von Wissenschaft und Forschung Tätige, die sich nicht oberflächlich
aus populärwissenschaftlichen „Kochbüchern“ informieren wollen, finden in diesem Buch in
acht Kapiteln und 44 Einzelbeiträgen, womit sich psychologische Führungsforschung auseinandersetzt.
Zu oft begeben sich Nicht-Psycholog*innen auf dieses Terrain, wenn sie doch
lieber bei ihren betriebswirtschaftlichen oder journalistischen Leisten bleiben sollten.
Um sich in einem solchen Werk zurecht zu finden, braucht man ein Stichwortverzeichnis, das
es tatsächlich auch, allerdings etwas zu knapp, gibt, ebenso ein ausführliches Personenverzeichnis.
(Solche Verzeichnisse fehlen leider in dem 2009 von Felfe in demselben Verlag veröffentlichten
Buch „Mitarbeiterführung“). Die Literaturquellen finden sich immer direkt am
Schluss der 44 Beiträge.
Begrüßenswert ist, dass Autor*innen von der Technischen Universität Dresden, einer wichtigen
Wiege der Arbeits- und Organisationspsychologie, und der Leipziger Universität vertreten
sind, ebenso von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und von Berliner
Hochschulen. An Hochschulen wird manchmal zu sehr auf (alte) US-amerikanische Literatur
zurück gegriffen, so dass zu hoffen ist, dass dieses Buch zukünftig zur Hand genommen wird
und in die Lehre einfließt, genauso in das praktische Umsetzen der vorliegenden Forschungsergebnisse.
In den acht Kapiteln werden aktuelle Konzepte, der Führungsprozess, Wirkung und Effektivität,
negative Aspekte von Führung, individuelle Voraussetzungen, Führungskräfteentwicklung,
neue Anforderungen und aktuelle Felder und schließlich neue Forschungsmethoden berichtet.
Sehr hilfreich sind die Abstracts zu Anfang jedes Beitrags und am Schluss die Zusammenfassungen
oder Ausblicke.
- Aktuelle Konzepte: Hier geht es um authentische, ethische transformationale, respektvolle,
geteilte (kollektive) Führung. Authentische Führung bildet als Eröffnungsbeitrag,
der Bedeutung angemessen, den Einstieg ins Buch und Thema. Es wird die Notwendigkeit
und Sinnhaftigkeit betont, ethische Führungspersönlichkeiten zu entwickeln bzw.
ethisches Handeln von Führenden zu verbessern. - Der Führungsprozess: In den Einzelbeiträgen wird die große Bedeutung von Identität dargestellt. Außerdem geht es um Emotionsregulation, um zielorientiertes Führen, um Vertrauen, um Führungsspielraum.
- Wirkung und Effektivität: In diesem Kapitel kann gelesen werden, welche zentrale Rolle Gesundheit in Zusammenhang mit Führung spielt. Gesundheitsorientierte Führung kommt nicht nur Mitarbeiter*innen zugute, sondern auch Führenden selbst. Weitere Beiträge u.a. zu Transformationaler Führung und Empowerment.
- Negative Aspekte von Führung: Destruktive Führung und Machiavellismus werden ebenso abgehandelt wie ethische Risiken transformationaler Führung. Es fehlt ein expliziter Artikel in dem Buch zu nahezu psychopathologischem Führungsverhalten (Kriminalität, Narzissmus, Management Derailment, Selbst- und Fremdgefährdung).
- Individuelle Voraussetzungen: Dieses Kapitel beleuchtet Werthaltungen, Persönlichkeit, Motivation (zum Führen) und Intelligenz von Führenden.
- Führungskräfteentwicklung: Neben Auswahl, Training, Coaching, Mentoring u.a. wird in diesem Kapitel auch über Frauenförderung und Frauen in Führungspositionen geschrieben. Insgesamt kommt der Genderaspekt in dem Buch relativ kurz. Frauen haben aber eine Zweidrittelmehrheit unter den Autor*innen.
- Neue Anforderungen und aktuelle Felder: Interkulturelle Fragestellungen spielen im Zeitalter von Globalisierung, Migration und technologischer Entwicklung (www, virtuellen Konferenzen etc.) eine immer größere Rolle. Alter(n)sgerechte Führung und Silver Worker kann aus der Perspektive älterer Mitarbeiter*innen als auch älterer Führender gesehen werden.
- Neue Methoden: Tagebuchstudien in der Führungsforschung haben den Vorteil, dass nicht nur blitzlichtähnlich zu einem kurzen Messzeitpunkt per Fragebogen Daten erhoben werden, aus denen dann relativ stabiles Führungsverhalten und dessen Wirkungen geschlussfolgert werden, sondern mit der Tagebuch-Methode werden Schwankungen im Verhalten und Erleben über den Arbeitstag hinweg erfasst und so lassen sich realistischer Aussagen treffen. In dem Beitrag zu neurowissenschaftlichen Untersuchungen in Zusammenhang mit Führung warnen die Grazer Autor*innen vor blinder „Neuromanie“ und fragen nach Praxisrelevanz.
Das Buch (613 Seiten) liest sich wie ein das Eintauchen in die Fülle der Flora und Fauna einer Tiefsee (vgl. vielleicht auch Helge Schneider 2008 Flora & Fauna). Wenn man zu der Zielgruppe gehört,
lohnt es sich, auf diesen Schatz zu zu greifen.