Des Mitfühlens müde… Wer professionell Menschen dabei unterstützt, ihre Probleme erfolgreich zu bewältigen, kann selbst in eine Krise stürzen: in die der emotionalen Erschöpfung. Die Autorin des Buches, Angelika Rohwetter, ist selbst Psychotherapeutin und kennt die Müdigkeit der eigenen Empathie aus ihrer eigenen Praxis und aus der von Kolleg*innen: Da gibt es die anstrengende Arbeit mit wenig reflektiertem und veränderungsbereitem oder gar abwertendem Klientel oder die langsame, mühevolle Arbeit mit suchterkrankten Patient*innen oder jene mit alten, depressiven Personen… – alles keine schnellen „Erfolgsgeschichten“, sondern Prozesse, die mit Rückfällen und Niederschlägen, auch für die oder den Berater/in, verbunden sind und die immer wieder Ärger, Ungeduld, Langeweile, Verdruss verursachen können, bis letztlich ein Gefühl tiefer Müdigkeit entsteht. Mitgefühlsmüdigkeit, so die Autorin, definiert sich als „Erlöschen des Antriebs zu helfen, zu unterstützen oder gar zu lindern, als zunehmende Desensibilisierung für Patientengeschichten“. Empathie-Erschöpfung greift also perfider Weise den Kern dessen an, was für die Hilfsprofis in ihrer Arbeit eigentlich so zentral ist: das professionelle, gesunde Mitfühlen und Helfen.
Bereits im Vorwort verweist die Autorin daher auf ihre beiden wichtigsten Anliegen an die Leserschaft: Zum einen mögen diese das Gefühl der eigenen compassion fatigue ernst nehmen, wenn es sich ‚eingenistet‘ hat, zum anderen, daraus folgend, sich in einem solchen Fall selbst Hilfe suchen, da Mitgefühlsmüdigkeit echten Krankheitswert besitze und zu einer Art Berufskrankheit professionell Helfender werden könne.
Das Buch gliedert sich weiter auf in einen theoretischen Teil, in dem näher auf den Begriff der Mitgefühlsmüdigkeit eingegangen und dieser von ähnlich anmutenden Phänomenen wie dem des Burnouts oder der Depression abgegrenzt wird. Viele Fallbeispiele und übersichtlich gestaltete Tabellen runden hier das Verständnis für die theoretische Untermauerung des Phänomens ab. Es folgen diverse Praxisfälle aus verschiedenen beruflichen Bereichen und Konzepte wie das der Ego-State-Therapie werden nähergebracht, weil sie die eigene Situation gut reflektieren und einbetten lassen.
Ab Kapitel II wird es dann richtig „praktisch“: Konkrete Tipps, Körper- und Atemübungen, Achtsames, Zitate oder Gedichte sowie ein professioneller Fragebogen zur Diagnostik von Mitgefühlsmüdigkeit unterbrechen den leicht verständlich, gut geschriebenen Text immer wieder. All dies lockert dabei nicht nur visuell auf, sondern macht das Buch auch zu einem wertvollen und schön gefüllten Arbeitsbuch, in dem für jede/n etwas dabei ist: für den eher analytisch vorgehenden Menschen ebenso wie für den, der seiner Erschöpfung lieber leiblich-emotional auf die Schliche kommen möchte. Alles Arbeitsmaterial ist dabei im Anhang nochmals abgebildet, um es gut herauskopieren und dann damit arbeiten zu können.
Mein Fazit nach dem Lesen: Dieses Buch ist meines Erachtens nach ebenso ein Muss wie das Buch „Hilflose Helfer“ von Schmidbauer und wunderbar für all jene, die in sozialen, pflegenden, medizinischen Berufen tätig sind und die mit täglichen, aber auch strukturellen Herausforderungen wie emotionalen, physischen, finanziellen und Wertschätzungs-Einbußen zu kämpfen haben. Aber gerne lange noch arbeiten und weiter helfen möchten.